Die quer berichtet über Kampagnen gegen Armut, über Sozialleistungsverhinderungssysteme wie "Hartz IV" und über Arbeitsbedingungen von Migrant*innen und vieles mehr. Die Zusammenhänge mit Themen aus der Landwirtschaft, Umwelt, Klimawandel, Militarisierung sowie mit dem Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und internationale Solidarität versuchen wir aufzuzeigen. Die quer setzt auf (Selbst)-Organisationsansätze von Erwerbslosen und Vernetzung. Mehr
Liebe Leser*innen, im April 2020 erscheint die quer nun das erste Mal als Website. Um die quer 25 als pdf zu lesen oder alte Ausgaben zu lesen, klick' dich in den Archiv- und Downloadbereich. zum Archiv
Das Editorial der 25. Ausgabe.
Liebe Leser*innen, liebe Mitstreiter*innen, die Zeiten sind verwirrend. Die Corona-Pandemie bestimmt alles. Die quer-Redaktion war kurz vor der Fertigstellung der 25. quer-Ausgabe, dann überschlugen sich die Ereignisse. Vielleicht hat der eine oder die andere bis vor Kurzem die Gefährdung durch den Virus noch nicht ernst genommen. Auf jeden Fall ist es so, dass die „virale gesellschaftliche Situation“ alle Menschen in Deutschland, Europa und dem allergrößten Teil der Erde mehr oder weniger stark beeinflusst.
Bild von Josh Dionne, veröffentlicht unter CC BY 2.0
Für uns in der Situation als Berater*innen, Aktive in der Unterstützung von Menschen in prekären Lebenssituationen nahm die Situation in der zweiten Märzwoche an Dynamik zu. Sofort war uns klar, dass die Gefahr besteht, dass gerade die „Schwächsten“ in der Gesellschaft „unter die Räder kommen“. Also haben wir uns sofort aufgemacht in Richtung der Leistungsträger, der Presse und der Politik, um die zu erwartenden Notsituationen zu schildern, Lösungen vorzuschlagen und Forderungen zu stellen. Recht schnell hat auch die Bundesagentur für Arbeit reagiert und so manche unserer Vorstellungen umgesetzt. Dazu mehr in den folgenden Texten. Inhalt dieser Sonderausgabe ist in der Hauptsache das sozialrechtliche Geschehen rund um die Corona-Pandemie. Es bleibt eigentlich alles, wie es immer ist: Wir bleiben solidarisch, hier und überall in der Welt! Bleibt gesund und haltet den Kopf hoch! Eure quer-RedaktionDie quer diesmal als online-Veröffentlichung.
Die quer wurde jahrzehntelang als Magazin in Druckform herausgegeben, das letzte Mal 2012. Wenn die redaktionelle Phase abgeschlossen ist, werden alle Artikel, Urteile, Interviews und so weiter den Layouter_innen der quer übergeben. Das Layout hat sich - obwohl sich die Form der Veröffentlichung stark geändert hat - bis zur letzten Ausgabe eigentlich nur kaum geändert. Das fertige Layout für den Druck wurde auch bei der 24. Ausgabe nicht mehr an die Druckerei gesendet, sondern direkt per Mail und online zum Download veröffentlicht. Wir wissen nicht, wieviele Leser_innen die gesamte quer ausdrucken, um sie zu lesen. Sicher ist aber, dass viele die quer am Bildschirm lesen. Und da kommen wir zu einem Problem: .pdf-Dokumente lassen sich auf großen Bildschirmen noch recht gut lesen, auf mobilen Geräten wird es aber schon schwieriger, da das starre Layout eines Dokumentes nicht auf unterschiedliche Bildschirmgrößen reagieren kann.
Bild von Michael Frank Franz, veröffentlicht unter CC BY-NC 2.0
Damit die quer aber auch auf verschiedenen Geräten gut lesbar ist, werden wir in Zukunft weiterhin eine neue, webbasierte Form der Veröffentlichung wählen. Moderne Webstandards bieten die Möglichkeit, Inhalte einer Website - je nachdem mit was für einem Gerät die Seite aufgerufen wird, - die jeweiligen Inhalte in einer passenden Größe und Anordnung bereitzustellen (in der Fachsprache: "Responsive Webdesign"). Ob eine Website (und somit auch diese) responsiv ist, kann leicht getestet werden: Am PC kann das Browser-Fenster vergrößert und verkleinert werden. Ist die Website responsiv, werden die Inhalte auch im verschmälerten Fenster gut dargestellt. Diese Funktion ist natürlich auch praktisch für alle, die auf einem breiten Bildschirm lesen, aber nicht Zeile für Zeile die ganze Bildschirmbreite in den Augen spüren möchten: In einem halb so schmalen Fenster ist das schon angenehmer. Und um das Ergebnis jetzt noch abzurunden, kann die Schriftgröße natürlich auch angepasst werden: Mit der gleichzeitigen Eingabe der Tasten Strg + wird die Schrift im Browser größer, mit Strg - wird sie kleiner. Soviel Anpassungsvermögen kann schon sehr lesefreundlich sein. Aber wir haben noch mehr Vorteile festgestellt: Unsere Artikel und Urteile können auf diese Weise auch leichter von Suchmaschinen durchsucht und gefunden werden. Zusätzlich bietet es der Redaktion die Möglichkeit, jederzeit einen Artikel zu veröffentlichen. Sollten wir mit dieser unregelmäßigen Veröffentlichung beginnen, werden wir euch informieren. Wir erhoffen uns ebenso, mehr Leser_innen für die Inhalte einer Zeitschrift für Erwerblose und alle anderen gewinnen zu können. Keine Angst - wir werden weiterhin auch in regelmäßigen Abständen druckbare Versionen bereitstellen. Zusätzlich möchten wir darauf hinweisen, dass wir auch inhaltlich neue Wege gehen möchten. Neben den gewohnten Inhalten wollen wir unsere Nähe zur ALSO und zum Alltag einer Erwerbsloseninitiative stärker unterstreichen. Wir freuen uns über Texte von anderen Initiativen, aber genauso von einzelnen Aktiven rund um die Themen Einkommensarmut und Prekarität.Seit vielen, vielen Jahren war Rainer fester Bestandteil der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) und auch dieser Zeitschrift quer. In der quer ist er der Leserschaft wohl überwiegend durch seine Urteilsrezensionen bekannt.
Rainer hat seinen Wohnort gewechselt und (zumindest teilweise) sein Tätigkeitsfeld. Seit dem Herbst 2019 arbeitet Rainer beim Förderverein gewerkschaftlicher Arbeitslosenarbeit e.V. in Berlin als politischer Referent. Also, das Herz aller Aktiven in der Erwerbslosenszene muss nicht in die Hose rutschen, denn Rainer bleibt uns erhalten und wird in seiner eigenen Art dort sicher für Impulse sorgen. Und mal ehrlich - die Erwerbslosenarbeit braucht diese dringend! Trotzdem – in Oldenburg – in der ALSO und in der quer entstand eine große Lücke. Vieles kann auf andere Aktive umgeleitet werden, so manches wird zumindest in der bisherigen Art und Weise so nicht mehr funktionieren. In der ALSO nannten wir Rainer immer mal „unser wandelndes Urteilslexikon“. „Wie ich schon in der quer xy geschrieben habe, hat das Bundessozialgericht …“. Nicht nur das wird uns fehlen! Wer kennt sich in den vielen Metern von Aktenordnern aus? Wer meckert nun ironisch grinsend über das Mittagessen? Wer rennt jetzt um die Ecken, ohne nach rechts und links zu sehen? (Vorsicht alle anderen!) Wer recherchiert jetzt den ganzen juristischen Kram für uns? Wen fragen wir jetzt, wenn mal wieder komplexe, für uns neue Beratungsfragen an uns herangeführt werden? Und nicht vergessen, dass (zwingend in jeder Gruppe wichtig) Rainer, wenn ihm die Hutschnur platzte, klare Ansagen gemacht hat! Und in fast jeder möglichen Situation einen herrlichen Sarkasmus an den Tag legen kann. All das vermissen wir jetzt schon! Doch trotz unserem eigenen „Verlust“ freuen wir uns darüber, dass Rainer weiter im Thema aktiv bleibt. Und selbstverständlich wünschen wir Rainer bei seiner neuen Tätigkeit und am neuen Wohnort von Herzen alles Gute! Und wenn er sich nicht anständig benimmt, dann haben wir immer noch eine Königin oder Makri in der Hinterhand, die dem Zebra den Weg weisen wird, was jetzt sicherlich nur er versteht, aber das ist wahrscheinlich auch besser so. Eigentlich hatten wir uns als quer-Redaktion vorgenommen, uns breiter aufzustellen und mehr Leute einzubinden, auch wenn viele dieser Aufrufe relativ fruchtlos verhallten. Aber dass dann auch noch unser größtes „ewig junggebliebenes“ Talent nach Berlin wechselt und das offensichtlich auch noch ablösefrei, müssen wir hinnnehmen. Wir sehen es auch als Lob und Anerkennung unserer und seiner jahrelangen Arbeit und werden weiter alles daran setzen, dass die quer weiterbestehen kann. Und zum Schluss dieser Eloge bleibt nur noch eines: DANKE Rainer T.!
Ab sofort dürfen weder Besucher*innen noch Mitglieder von NGOs die Lager der Geflüchteten auf den griechischen Inseln betreten. Das teilte das griechische Migrationsministerium mit und begründete diese Maßnahme mit dem Ziel, einen Coronavirus-Ausbruch in den Lagern zu verhindern. Alle Aktivitäten sollen beendet und Einrichtungen in den Lagern wie Schulen, Bibliotheken und Übungsbereiche sollen geschlossen werden. Da diese meist von NGOs organisierten Aktivitäten jedoch oft die einzigen Lichtblicke in den völlig überfüllten und kaum versorgten Lagern waren, wird so die verzweifelte Lage der Geflüchteten noch dramatischer werden. Den Geflüchteten wird zudem untersagt, die Lager zu verlassen – auch nicht, um sich zu versorgen - oder sich in dem Gelände „ohne guten Grund“ zu bewegen. Wie aber dann die Versorgung sichergestellt werden kann und die existenziellen Bedürfnisse befriedigt werden können, das ist die große Frage.
Bild von Fotomovimiento, veröffentlicht unter CC BY-NC-ND 2.0
"Die medizinische Wohltätigkeitsorganisation Medecins Sans Frontieres (MSF) forderte [...] die griechischen Behörden auf, alle Lager zu räumen und ihre Bewohner auf das Festland zu bringen, um einen Ausbruch in den überfüllten und unterbesetzten Einrichtungen zu verhindern. "In einigen Teilen des Lagers Moria gibt es nur einen Wasserhahn pro 1.300 Menschen und keine Seife. Familien mit fünf oder sechs Personen müssen auf höchstens 3 m² schlafen", sagte Dr. Hilde Vochten, Ärztliche Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland, in einer Ankündigung, die sich auf das berüchtigte Lager Moria auf der ostägäischen Insel Lesbos bezog. "Dies bedeutet, dass empfohlene Maßnahmen wie häufiges Händewaschen und soziale Distanzierung zur Verhinderung der Ausbreitung des Virus einfach unmöglich sind." "Angesichts des Mangels an angemessenen sanitären Einrichtungen und der stark eingeschränkten medizinischen Versorgung ist das Risiko einer Ausbreitung des Virus unter den Bewohnern der Lager in Griechenland nach ihrer Exposition extrem hoch", sagte Ärzte ohne Grenzen.“ (Quelle)
Bild von Fotomovimiento, veröffentlicht unter CC BY-NC-ND 2.0
Logo von Tacheles e.V.
Eine Zusammenfassung der umfangreichen Forderungen an Politik und Verwaltung, die vom Erwerbslosen – und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. aus Wuppertal als Reaktion auf die Corona-Krise erarbeitet wurden:
[...] Insbesondere aufgrund des Wegfalls von Aufträgen und Arbeitsplätzen werden deutlich mehr Menschen als bislang auf staatliche Leistungen angewiesen sein... Denn neben den Menschen, die bereits jetzt Sozialleistungen beziehen (nach SGB II / SGB XII / AsyblG / KIZ / WoGG), werden auch Selbständige, Künstler*innen, Geringverdienende, Minijobber*innen und durch die Corona-Krise wirtschaftlich Strauchelnde auf soziale Leistungen der Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung angewiesen sein. Da es einkommensschwachen Haushalten in der Regel auch an entsprechenden Rücklagen fehlt, um die ausfallenden Einkünfte eine Weile lang auszugleichen, erlauben wir uns, eine Reihe von Vorschlägen zu machen, wie die Krise für alle Beteiligten abgefangen werden kann.
Im Folgenden haben wir deshalb 29 Vorschläge ausgearbeitet, die zum Teil sofort, zum Teil erst nach vorheriger Gesetzesänderung umgesetzt werden könnten und einen wertvollen Beitrag leisten würden, um die Versorgung aller Betroffenen sicherzustellen:
Bild von Alexander Lyubavin, veröffentlicht unter CC BY 2.0
Zudem sollten die Sozialleistungsträger jede Belehrung mit Hinweis auf die vollständige oder teilweise Leistungsversagung im Regelfall aufgeben.Bild von Neil Alexander McKee, veröffentlicht unter CC BY-NC 2.0
Täglich scheint sich die Lebenssituation der Menschen in Deutschland zu verändern. Schon vor Tagen hat die Bundesregierung versprochen, alles Mögliche zu tun, um die Unternehmen vor einer Insolvenz zu retten. Vieles wird dafür getan bzw. angekündigt und das ist auch gut so. Aber was ist mit den normalen Bürger*innen?
Millionen von Menschen sind auf Sozialleistungen angewiesen. „Hartz IV“, Sozialhilfe und anderes wie BAföG, Kindergeld, Kinderzuschlag usw. Und es ist damit zu rechnen, dass zigtausend Menschen in den nächsten Tagen und Wochen dazukommen. Freiberufler*innen, Künstler*innen, Honorarkräfte, Leiharbeiter*innen, Beschäftigte in der Probezeit oder von sog. Subunternehmen verlieren ihre Aufträge bzw. Verträge und stehen oft bald ohne Geld zur Finanzierung ihrer Lebenshaltungskosten da. Firmen werden ihre Mitarbeiter*innen entlassen, z. B. massenweise in der Gastronomie. Die dafür zuständigen Ämter sind weitgehend geschlossen. Am Beispiel der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II = Hartz IV) sollen hier einige der Problemlagen aufgezeigt werden. Es ist zu begrüßen, dass die Ämter weitgehend geschlossen werden und somit die Infektionskette möglichst unterbrochen wird. Die Ankündigung, dass keine Meldeversäumnisse sanktioniert werden, ist ein richtiger Schritt. Auch der Hinweis, dass die Leistungen weiter gezahlt werden, ist zu begrüßen – allerdings sollte das selbstverständlich sein. Es wird so dargestellt, als ob Telefonkontakte die meisten Probleme lösen könnten. Die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) und bundesweit zig andere Beratungsstellen haben spätestens seit Einführung von Hartz IV ganz andere Erfahrungen gemacht. Absolut offen bleibt, wie mit Neuanträgen umgegangen wird - mit denen in großer Menge zu rechnen ist (s. o.). Ein Onlineangebot ist für viele Betroffene eine unüberwindbare Härte. Selbst einen Antrag auszudrucken, dafür fehlt vielen die Möglichkeit. Offen bleibt auch, wie mit Weiterbewilligungsanträgen, nach Ablauf der Bewilligung, umgegangen wird. In beiden eben genannten Fällen fordern die Leistungsträger (Jobcenter oder optierende Kommunen) oft zahlreiche Unterlagen nach (Kontoauszüge, Anlage Vermögen usw.). Wie soll das zügig bearbeitet werden, ohne dass die Bürger*innen in finanzielle Schwierigkeiten kommen? Nicht nur bei Hartz IV, sondern auch in der Sozialhilfe, bei ausländerrechtlichen Angelegenheiten (Asylbewerberleistungsgesetz und anderes), beim BAföG, Kindergeld, Kinderzuschlag usw. wird über existenzsichernde Leistungen entschieden. Hier muss unbedingt und unverzüglich ein Verwaltungshandeln angelegt werden, das die Existenzsicherung aller Menschen in Deutschland gewährleistet. Aus dem oben Genannten ergeben sich folgende Forderungen, um die Existenzsicherung aller zu garantieren:
Jetzt sind wir noch alle mit Corona bzw. dessen Auswirkungen irgendwie beschäftigt bzw. davon beeinträchtigt. Wenn man zynisch sein möchte, könnte man behaupten, dass der Hartz-IV-Bezug eine gute Vorbereitung auf die Quarantäne war, denn durch den Mangel an sozialer Teilhabe, der damit ermöglicht wurde, sind vielen Betroffenen Einsamkeit und Isolation durchaus sehr vertraut. Und durch Mietobergrenzen und die Wohnungsnot ist es für viele sogar schwieriger, als denn mal eben sich in seinem Einfamilienhaus auf 120 qm mit Garten in Quarantäne zu begeben.
Bild aus der quer Redaktion
Doch bei allen Ängsten und Sorgen sollten uns die vielen Zeichen der Solidarität doch auch Mut machen. Das „neoliberale Dogma“ vom Eigenmanagement und „Jeder ist sich selbst der Nächste“ ist glücklicherweise bisher nicht weiter als bis zum Klopapier gekommen. Lasst uns dafür Sorge tragen, dass diese Dogmen mit dem Papier dann auch in den Orkus gespült werden. Aber auch Sorgen sollten wir uns machen: Es droht eine dumpfe Reduktion auf nationale Interessen und nationalen Eigennutz. Auch hier erweist sich die Europäische Union bisher wieder als handlungsunfähig. Und haben nicht gerade ihre Defizitvorgaben und Sparauflagen zu Kürzungen im Gesundheitssektor geführt? Die Situation von Geflüchteten ist nicht nur in Griechenland eine Katastrophe und völlig außerhalb des Fokus der breiten Öffentlichkeit geraten, sondern auch in vielen anderen Ländern. (Das „Dublin Abkommen“ ist ausgesetzt und Abschiebungen finden weiter statt.) Gerade der Virus zeigt doch eines: Wie sinnlos und dumm das Denken in nationalen oder imperialen Denkstrukturen ist, denn für den Virus sind wir das, was wir tatsächlich sind: Menschen auf diesem Planeten. Relativ klar wird gerade aufgezeigt, welche „Schwächen“ in unseren Gesellschaften vorhanden sind und welche Gefahren darin liegen, wenn der Staat die Rechte und das Gemeinwohl der Bürger*innen den Profitinteressen des Kapitals aussetzt. Deshalb ist es schon jetzt an der Zeit, anfänglich und vor allem ausdrücklich Forderungen zu formulieren für die Zeit nach Corona. Selbstverständlich sind diese Forderungen nicht vollständig. Weder vollständig in ihrer Gesamtheit noch vollständig in ihrer Qualität / ihrem Ausdruck. ABER: Die Forderungen stehen im gesellschaftlichen Raum und müssen diskutiert und in der einen oder anderen Form umgesetzt werden.Bild von John Blackbourn, veröffentlicht unter CC BY-NC 2.0
- von Beschäftigten, die auf Kurzarbeit geschickt werden oder denen eine Kündigung droht; - und von Menschen, die aktuell, z. B. als Solo-Selbstständige, von Einkommensverlust betroffen und in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind; - von Arbeitslosen, die bereits Arbeitslosengeld von der Agentur für Arbeit oder Arbeitslosengeld II vom Jobcenter bekommen. An dieser Stelle möchten wir auf die Ausführungen vom Förderverein gewerkschaftliche Arbeitslosenarbeit e.V. - Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppenaus Berlin verweisen. Diese sind am 25.03.2020 veröffentlicht worden und lesenswert! Inhaltlich geht es um Kurzarbeiter*innengeld, Arbeitslosengeld, Hilfen für Kleinunternehmer*innen und Solo-Selbstständige, Hilfen für Mieter*innen und Besitzer*innen von Wohneigentum, Wohngeld, Kinderzuschlag, Arbeitslosengeld II („Hartz IV“), Grundsicherung im Alter und bei dauernder Erwerbsminderung und Sozialhilfe.
Die gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (kurz: GGUA) fordert vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Ausnahmesituation der Corona-Krise die Sozialämter und Jobcenter auf, für alle Menschen in Deutschland das dringend notwendige Existenzminimum zu sichern. Es darf nicht sein, dass in einer Situation wie jetzt Menschen auf der Straße leben müssen oder keinerlei Mittel für ihr Existenzminimum haben. Auch für EU-Bürger*innen ohne regulären Leistungsanspruch, Geflüchtete und andere Drittstaatsangehörige muss nun das menschenwürdige Existenzminimum sichergestellt werden. Eine sichere und angemessene Unterkunft und die finanziellen Mittel für Vorsorge, Hygiene und Lebensmittel sind erst Recht in der momentanen Situation unabdingbar. Niemand darf gezwungen werden, auf der Straße zu leben und zu hungern. Zugleich haben viele Einrichtungen der solidarischen Notversorgung (Tafeln, ehrenamtliche Notfallmedizin usw.) ihren Betrieb eingestellt oder eingeschränkt.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 05. November 2019 festgestellt, dass Sanktionen nicht der Erziehung, Bestrafung oder Repression dienen dürfen. Sie sind lediglich dann mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn sie evident (also wissenschaftlich erwiesen) dem Ziel der eigenständigen Existenzsicherung dienen. Die Beweislast ist umgekehrt worden, nun muss das Jobcenter im Zweifelsfall nachweisen, dass die Sanktionen in Länge und Höhe angemessen sind und tatsächlich dem Ziel einer selbstständigen Existenzsicherung dienen. Das wird auf die reale Sanktionspraxis sehr große Auswirkungen haben und die Anzahl der Sanktionen massiv reduzieren.
Bei vielen offensichtlich sinnlosen Maßnahmen dürfte es kaum möglich sein nachzuweisen, damit eine eigenständige Existenzsicherung zu fördern. Insofern kann das Fernblieben bei diesen dann auch kaum mehr sanktioniert werden. Hat eine Bewerbung auch wirklich das Potential, danach den Lebensunterhalt zu sichern? Oder wird die angebotene Stelle dafür zu gering entlohnt. Erhöht das X-te Bewerbungstraining wirklich die Chance auf eine Anstellung? Ist es der psychischen Verfassung dienlich, Druck auszuüben, oder wird damit die Erwerbsperspektive sogar verschlechtert?
Zudem hat das Bundesverfassungsgericht Sanktionen oberhalb der 30% für nicht zulässig erklärt, da hierfür das Ziel, einer eigenständigen Existenzsicherung förderlich zu sein, nicht nachgewiesen sei oder sogar ernsthaft bezweifelt wird. Des Weiteren muss es dem Sanktionierten möglich sein, durch eine Verhaltensänderung die Sanktion zeitnah (max. 1 Monat) wieder zu beenden. Nicht untersucht wurden in diesem Verfahren die Ungleichbehandlung von unter 25-Jährigen und die 10% Sanktionen bei Terminversäumnissen. Auch die Höhe des Existenzminimums wurde nicht erneut geprüft, nachdem die Art der Berechnung im Urteil vom 9.2.2010 schon als nicht verfassungsgemäß bemängelt worden war. Klargestellt wurde allerdings, dass das Existenzminimum inclusive der soziokulturellen Teilhabe gilt und unteilbar ist. Eine Unterscheidung in physische und soziale Existenz ist somit ausgeschlossen worden. Was bleibt, ist die grundsätzliche Ausrichtung auf das Ziel, dass jeder seine Existenz selbst sichern soll. Und um dieses Ziel zu erreichen, erlaubt das Gericht auch in der Zukunft Sanktionen. Eine Änderung dieses Prinzips war meines Erachtens auch nicht zu erwarten. Und sei es aus der Perspektive von Grundeinkommensbefürwortern auch noch so wünschenswert.
Bild von Generation Grundeinkommen, veröffentlicht unter CC BY 2.0
Denn hier kommt ein wesentlicher Unterschied zwischen einer Grundsicherung (mit oder ohne Sanktionen) und dem Grundeinkommen zum Tragen. Grundsicherung füllt die Lücken, wo die Existenz nicht selbstständig gesichert wird. Ob das Erwerbsarbeit ist, Vermögen oder Leistungen aus den Sozialversicherungen wie Rente oder Krankengeld, ist dem Gesetzgeber egal. Die Bedürftigkeit wird geprüft und nur wenn es keine andere Quelle gibt, springt die Grundsicherung ein. Beim Grundeinkommen wird die Frage danach, wer für die Existenzsicherung zuständig ist grundsätzlich anders beantwortet. Nicht mehr jeder für sich selbst, sondern alle gemeinsam – als Staat. Ein Grundeinkommen bekäme jeder. Egal ob Rentner, Erwerbstätiger, Privatier, Familienangehöriger oder „Bedürftiger“. Die Existenz aller wäre durch das Grundeinkommen gesichert. Der Rest käme (ggf. nach anderer Berechnungsgrundlage oder auch höher versteuert) oben drauf. Die Pflicht, sich in die Gesellschaft einzubringen, bestünde weiterhin. Aber sie würde nicht mehr unter Androhung von Entzug der Existenzgrundlage durch den Staat eingefordert. Mit einem Grundeinkommen könnte niemand mehr gezwungen werden, eine Arbeit anzunehmen, die er selbst nicht für zumutbar hält. Ein moralischer und sozialer Druck, sich aber trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen, weil er nicht gezwungen werden kann, einzubringen, besteht weiterhin. Diese Komponenten würden sogar noch wichtiger werden, wenn das Geld als Belohnung einen geringeren Stellenwert erhielte. Das Grundeinkommen sichert die Existenz. Die Frage, was jemand mit seinem Leben macht, wird damit aber nicht beantwortet. Wünschenswert und durchaus denkbar wäre es, dass mit einem Grundeinkommen auch andere Arten, sich sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen, aufgewertet werden würden. Egal ob im ehrenamtlichen, kulturellen, sozialen oder im familiären Bereich. „Was machst Du so?“ würde immer noch gefragt werden. Die Antworten darauf könnten vielfältiger ausfallen und würden nicht mehr von „und davon kannst Du leben?“ gefolgt werden.
Dieses Umdenken, diesen Paradigmenwechsel von einer Grundsicherung zum Grundeinkommen werden wir nicht vom Bundesverfassungsgericht serviert bekommen. Dieser grundlegende Perspektivwechsel muss in der gesellschaftlichen Breite verankert und in der Politik umgesetzt werden. Im Widerspruch zum Grundgesetz würde es nicht stehen, denn die Verfassungsrichter legen nicht fest, wie das Existenzminimum gesichert werden muss. Das Sozialstaatsprinzip mit Bedürftigkeitsprüfung und dem Ideal der selbstständigen Existenzsicherung ist nicht der einzige Weg dahin.
Im Jahr 2019 erklomm mit den X4Future-Bewegungen ein neues Subjekt die politische Bühne – das klimapolitische. Inhaltlicher Kern dieser Bewegung ist das Einfordern konsequenter und damit radikaler Klimapolitik, die die Einhaltung der in Paris und anderswo proklamierten Reduktionsziele ermöglicht. Diese soll angesichts der Dringlichkeit Priorität haben, koste es, was es wolle: Wenn Änderungen innerhalb des Systems nicht möglich seien, müsse man eben das System ändern, so etwa Greta Thunberg.
Die sogenannten Warming Stripes visualisieren die Temperaturveränderungen auf der Erde von 1850 - 2018. Für jedes Jahr steht ein senkrechter Streifen. Kältere Jahre haben einen blauen Ton, wärmere Jahre haben eine roten Ton. Die Warming Stripes wurden von Wissenschaftler*innen um den Klimaforscher Ed Hawkins, entwickelt. Auf Warming Stripes von bestimmten Regionen ansehen gibt es Warming Stripes für viele Regionen. #ShowYourStripes
Bild von Ian Britton, veröffentlicht unter CC BY-NC 2.0
Die Bundesregierung benennt explizit die Sozialverträglichkeit der Klimapolitik als Ziel: „Jede und Jeder wird in der Transformation zurechtkommen, auch bei kleinem Einkommen“. So sind die CO2-Preise so gering, dass sie kaum jemandem wehtun – weder bieten sie den Hersteller*innen und Verbraucher*innen einen Anreiz zum Umsteigen/Aussteigen aus der Nutzung fossiler Heiz- und Brennstoffe, noch stellen sie eine merkliche finanzielle Belastung dar. Selbst diese kleinen Preisanstiege sollen kompensiert werden durch Entlastungen beim Strompreis: So soll etwa die EEG-Abgabe gekürzt werden, da sie zukünftig zunehmend aus den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung bei Verkehr und Mobilität finanziert werden soll. Dasselbe ist für weitere - zahlenmäßig geringer ins Gewicht fallende - Abgaben im Zusammenhang mit der Finanzierung der Energiewende[6] angedacht.[1] Für Strom gibt es ein entsprechendes Zertifikate-Handelssystem bereits auf EU-Ebene
[2] Um etwa 0,2 ct/kWh gegenüber dem jetzigen Preis von etwa 5 ct/kWh.
[3] Ein Anstieg von 0,7 ct/kWh
[4] Der Gaspreis würde um 3,6 Ct/kWh steigen.
[5] Allerdings würde die Verteuerung prozentual geringer ausfallen, da der aktuelle Preis aufgrund der Mineralölsteuer schon höher ist: jeweils 1,5%, 5% und 30% Erhöhung.
[6] Netzausbau etc.
[7] Auf der Basis von Warmmieten berechnet
[8] Der aktuelle Preis im europäischen Emissionshandel
[9] Um 7,6 ct/kWh beim gegenwärtigen Strom-Mix
[10] Bei 3.500 kWh/Jahr
[11] Weniger Erträge auf schlechteren Flächen etc.
Hilfebedürftigkeit? Anrechenbares Vermögen. Schonvermögen. Anlagen MEB, BB oder UH1-4, Anlage VÄM. Auch noch Anlage EK, Anlage VM, Anlage EKS. Anrechenbares Einkommen. Zuflussprinzip, unaufgefordert und unverzüglich, automatisierter Datenabgleich. Versicherungspauschale. Anlage Kosten der Unterkunft. Für mehr als eine Unterkunft reichen die Mietobergrenzen ohnehin nicht aus, da vermeidet man lieber gleich das Wort Wohnung.
Aus der ARGE wurde das Jobcenter. Aus dem Regelsatz wurde der Regelbedarf. Existenzminimum? Leistungsabteilung: lange Flure, wenige Sitzplätze, Security, Wartemarke, Bedarfsgemeinschaft, eheähnlich. Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, Hausbesuch, Mitwirkungspflichten. Unter 25, Kontoauszüge der vergangenen drei Monate. Weiterbewilligungsantrag und alles nochmal von vorn...! Auf der anderen Gebäudeseite: Die Arbeitsvermittlung, sie winkt mit der Eingliederungsvereinbarung. Eine Initiative formulierte es einst so: „Achtung, Sie verlassen den demokratischen Sektor der Bundesrepublik Deutschland“ und „Wir vermitteln Angst, Ihre Jobcenter“. Mehr als 15 Jahre nach Einführung sind immer noch viele Bescheide falsch oder unverständlich. Es geht ja auch nur um das Existenzminimum, das immer noch 30 Prozent weniger als das Minimum betragen darf. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht zum zweiten Mal der Hartz IV-Gesetzgebung einen Verfassungsbruch bescheinigt. Konsequenzen daraus? Keine wirklichen! Warum auch, das System der Niedriglöhne und Ausbeutung funktioniert nur mit Druck und Zwang.
Bild von Mitch Barrie, veröffentlicht unter CC BY-SA 2.0
Die Mitarbeiter*innen in den Behörden wechseln schnell. Alle sagen immer so gern, sie wenden ja nur das geltende Recht an. Ach, wenn es denn so wäre – angesichts vieler falscher Bescheide. Das lässt uns ratlos zurück, gerade wenn man an Cum-Ex-Steuertricks denkt. Was man wirklich auf den Fluren des Jobcenters hört, ist Verzweiflung, Resignation und ein „Ich mache alles, nur um von hier wegzukommen!“ Hartz IV überwinden heißt, einen sehr beschwerlichen Weg zu gehen. Aber der Weg in Richtung einer solidarischen Gesellschaft ist es wert.Es gibt viele Vorurteile gegenüber erwerbslosen Menschen. Bildungschancen werden in Deutschland quasi vererbt. Menschen, die beispielsweise den Vornamen Kevin tragen, werden belächelt. Solche Formen der Ausgrenzung und Abwertung können unter dem Begriff Klassismus zusammengefasst werden. Nicht nur strukturelle Faktoren sind dabei relevant - also die Art, wie die Gesellschaft aufgebaut ist -, sondern auch die persönliche Eingebundenheit in klassistische Denkmuster in Bezug auf sich selbst oder andere Menschen spielt hier eine Rolle.
Bild von Fiona Shields, veröffentlicht unter CC BY-NC-ND 2.0
Dass der gesellschaftliche Aufstieg (oder auch Nicht-Abstieg) allerdings in vielen Fällen und auch strukturell davon abhängt, wie vermögend die Familie ist oder ob überhaupt eine Familie vorhanden ist, wie gut die persönlichen Netzwerke sind (das sogenannte "Vitamin B"), welche Bildungsabschlüsse erreicht werden, wird in diesem Aufstiegsmärchen ausgeblendet.Bild von Over Doz, veröffentlicht unter CC BY-NC 2.0
[1] vgl. Seeck, Francis: Hä, was heißt denn Klassismus?, online erschienen im Missy Magazine am 28.01.2020. Hier verfügbar.
[2] Culina, Kevin:Aufarbeitung im Bundestag - Späte Anerkennung für Nazi-Opfer, online erschienen auf taz.de am 14.02.2020.
[3] An dieser Stelle möchten wir verweisen auf: Intersektionale Pädagogik: Handreichung für Sozialarbeiter_innen, Erzieher_innen, Lehrkräfte und die, die es noch werden wollen. Ein Beitrag zu inklusiver pädagogischer Praxis, voruteilsbewusster Bildung und Erziehung, März 2013. Hier verfügbar.
[4] Cisgeschlechtlichtkeit bezeichnet den Umstand, dass sich Menschen mit dem entweder männlichen oder weiblichen Geschlecht identifizieren, welches ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Bei trans Menschen wurde dagegen bei der Geburt ein falsches Geschlecht zugeordnet. Quelle
[5] Heteronormativität bezeichnet die Vorstellung, dass eine heterosexuelle Lebensweise die Norm darstellt. Die Lebens- und Liebesweisen von Menschen, die nicht männlich oder weiblich sind und/oder bspw. homosexuell oder bisexuell begehren, werden durch eine heteronormative Sicht ausgeblendet.
[6] vgl. Tanja Abou: Prololesben und Arbeiter*innentöchter. Zuerst erschienen in Kurswechsel. Am 04.12.2015 auf dem Blog der maedchenmannschaft.net erschienen.
[7] Heike Weinbach und Andreas Kemper (2009): Klassismus. Eine Einführung. Münster: Unrast Verlag.
[8] vgl. Sven Woytek in Klassismus - Eine Einführung. Hier verfügbar.
[9] Rita Mae Brown: The Last Straw, zitiert in Wir sind Klasse, Blog-Artikel auf Class Matters von Clara Rosa am 16.04.2013.
[10] Der Aufruf, eigene Beiträge einzureichen findet sich hier. Der Spendenaufruf findet sich hier.
„Armer Mann und reicher Mann / standen da und sah‘n sich an / Und der Arme sagte bleich: / Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
Mit diesem Zitat von Bertolt Brecht fasst Christoph Butterwegge, bis 2007 Professor für Politikwissenschaft in Köln, die zentrale These seiner Analyse der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ungleichheit in Deutschland zusammen: Die zunehmende Verarmung eines wachsenden Teils der Bevölkerung und der unvorstellbare Reichtum einer kleinen Minderheit sind zwei Seiten derselben Medaille und weisen hin auf eine Gesellschaft, die geprägt ist vom grundlegenden Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Der gut 400 Seiten dicke Band Die zerrissene Republik gibt einen Überblick über die Veränderungen der sozialen Verhältnisse in Deutschland seit 1945, über die Sozialpolitik von Ludwig Erhard bis Hartz IV. In diesem Zusammenhang analysiert B. auch die Geschichte der Soziologie: Ihre Versuche, ebendiese Veränderungen mit immer neuen Begriffen zu beschreiben, verschleierten diese Entwicklung eher als dass sie sie erklärten.Bild von universaldilletant, veröffentlicht unter CC BY-NC-SA 2.0
Der von „Marx und Engels begründete Erklärungsansatz“ (255) sei noch immer gültig: „Eine kapitalistische, ‚marktwirtschaftlich‘ organisierte Gesellschaft tendiert zur sozioökonomischen Polarisierung, weil den Mitgliedern einer privilegierten Klasse […] die Produktionsmittel […] ebenso gehören wie die Rücklagen, mit denen sie Profit auf den Finanzmärkten machen“, während die Mitglieder einer anderen Klasse, traditionell Proletariat genannt, ihre Arbeitskraft gegen ein „vergleichsweise geringes Entgelt (Lohn) verkaufen müssen“ (255f). Um die Marx‘sche Klassenanalyse nutzen zu können, bedürfe es aber „einer Modifikation und Ergänzung der Marx‘schen Schlüsselkategorien, einer Untersuchung der aktuellen Spaltungslinien und einer Fokussierung auf die Konsequenzen für das politische System wie für das soziale Klima der Bundesrepublik“ (255). Von diesem Standpunkt aus arbeitet sich B. mit bewundernswerter Ausdauer durch die soziologische Forschung zur (westdeutschen) Sozialstruktur und führt dabei sehr schön vor, wohin man kommen kann, wenn man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht: Nachdem Schelsky in den 1950ern die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ und Beck in den 1980er Jahren die „Risikogesellschaft“ entdeckt hatten, geisterte die „Erlebnis-“ oder „Multioptionsgesellschaft“ auf dem Soziologie-Jahrmarkt ebenso herum, wie „Rolltreppen-“und „Fahrstuhleffekte“ und ähnlich phantasievolle Metaphern bemüht wurden, bis dann am Ende kein Begriff mehr irgendetwas bedeutete und von „Aufmerksamkeits-“, „Reputations-“, „Singularitätskapital“ und sonstigem Unsinn geschwafelt wurde. Demgegenüber hält B. daran fest, dass der Gegensatz von Kapital und Arbeit für das Verständnis von Ökonomie und Politik wesentlich bleibe, auch wenn die soziale Wirklichkeit heute natürlich anders aussieht als zu Marx‘ Zeiten: „Selbst für den Fall, dass die sozialstatistische Gruppe der Arbeiter endgültig verschwände, würden jedoch noch Millionen Lohnabhängige zur arbeitenden Klasse im weiteren Sinne gehören“ (153), womit Butterwegge bewusst den Begriff benutzt, den Engels in seiner Untersuchung „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ 1845 verwendete, weil der „Begriff ‚Arbeiterklasse‘ weder gendergerecht ist noch Menschen erfasst, die abhängig beschäftigt sind, ohne Arbeiter oder Arbeiterin zu sein“ (154).Foto von Klaus Fritsche, veröffentlicht unter CC BY-NC-SA 2.0
Am Ortseingang von Sandkrug – einer Gemeinde von ca. 4.000 Menschen bei Oldenburg – soll ein Bio-Stall mit 18.000 Legehennen gebaut werden. Dafür sollen im Landschaftsschutzgebiet 8.000 m² „verfestigt“ und 11 ha als Freilauffläche hergerichtet werden. Das erfuhren Anwohner*innen in den Sommerferien mehr zufällig aus einer „Amtlichen-Bekanntmachungs“-Anzeige in der örtlichen Zeitung. Daraufhin gab´s heftigen Widerstand und zahlreiche Einwendungen, obwohl nur noch ca. zwei Wochen Zeit war, fristgerecht bei der Gemeinde Stellungnahmen zum Projekt abzugeben.
Der Kopf des Flyers, eingescannt von der quer Redaktion
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Bild von Rob!, veröffentlicht unter CC BY 2.0